Was ist die Neue Rechte?

Der Begriff Neue Rechte bezeichnet im engeren Sinn eine rechtsradikale Strömung die sich in Deutschland in den 60er Jahren herausgebildet hat. Sie grenzte sich bewusst von direkten Bezügen zum Nationalsozialismus ab und versucht dadurch eine Brückenfunktion zwischen der radikalen Rechten und dem bürgerlich-konservativen Milieu einzunehmen. Dennoch ist der Kern ihrer Ideologie gegen die liberale Demokratie und gegen die Idee der Gleichheit aller Menschen gerichtet. Während die Neue Rechte lange eher als eine Randerscheinung galt, spielt sie heute eine zentrale Rolle in der rechtspopulistischen Szene.

 

Als ein Kern der Ideologie der Neuen Rechte kann der Ethnopluralismus betrachtet werden, der unter anderem auf den französischen neurechten Theoretiker Alain de Benoist zurückgeht. Ausgehend von der These, dass es ein „Recht auf kulturelle Differenz“ gäbe kommt er zu dem Schluss, dass unterschiedliche Ethnien auf getrennten Territorien leben sollten. Dabei wird ein irreführender Kulturbegriff genutzt der Kulturen als unveränderbar ansieht und daraus „natürliche Identität“ eines „Volkes“ ableitet. Begriffe wie Identität und Differenz werden bei De Benoist von Individuen auf ganze Völker übertragen. Würde man die Forderung der Ethno-pluralisten umsetzen, entstünde ein System, das dem ehemaligen Apartheidsstaat in Südafrika ähnelt. Der Ethnopluralismus ist dabei auch ein Angriff auf die universelle Gültigkeit der Menschenrechte. Aus der kulturellen „Identität“ der „Völker“ leitet die Neue Rechte auch eigenständige Moralvorstellungen und Rechtsnormen ab, die allgemein gültigen Menschen-rechte sind deshalb in ihren Augen ein aufgezwungenes Konstrukt.

 

Lange Zeit galt vor allem die 1986 von Dieter Stein gegründete Zeitschrift „Junge Freiheit“ als Zentralorgan der Neuen Rechten. In den letzten Jahren ist allerdings verstärkt das Institut für Staats-politik (IfS) um Götz Kubitschek ins Zentrum der neurechten Agitation gerückt. Das im Jahr 2000 gegründete IfS hat seinen Sitz im thüringischen Schnellroda und gilt als eine Art rechter Thinktank. Im Umfeld des IfS sind auch der Verlag Antaios und die Zeitschrift Sezession angesiedelt.

 

Kubitschek und das IfS spielten auch eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Identitären Bewegung in Deutschland. Die Identitäre Bewegung (IB) wurde nach dem Vorbild der französischen „Generation identitaire“ aufgebaut und dient der Neuen Rechten als Vehikel um ihre Ideologie zu verbreiten und Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs zu gewinnen. Zentrale Begrifflichkeiten und Thesen der Neuen Rechten werden durch die Kampagnen und Aktionen der IB verbreitet. Das IfS und die Identitären sind dabei weiter engmaschig verknüpft. Das zeigte nicht nur der Ankauf einer Immobilie für ein Identitäres Hausprojekt in Halle, bei dem der IfS-Geschäftsführer Andreas Lichert als Mittelsmann fungierte.

 

Die Neue Rechte ist darüber hinaus eng vernetzt mit rechts-populistischen Kreisen. Auch wenn Kubitschek kein AfD-Mitglied ist, genießt er starken Einfluss auf die Partei. Laut der Spiegel-Journalistin Melanie Amann unterstützte Kubitschek Björn Höcke bei der Erstellung der „Erfurter Resolution“1, die als Gründungsdokument des rechten Flügels der AfD gilt. Zudem war Kubitschek einer der Mit-begründer des Vereins „Ein Prozent“. „Ein Prozent“ ist eine rechte Kampagnenplattform, die rechte Organisationen und deren Aktionen unterstützt und finanziert. Der Verein verfügt dadurch über ein großes Netzwerk im aktivistischen rechtsradikalen Milieu.

 

 

 

Instrumentalisierung: Wie die Neue Rechte versucht ihre Ideologie zu verbreiten

In ihren Selbstbeschreibungen arbeiten Gruppierungen der Neuen Rechten gerne mit abstrakten Begriffen. Sie verwenden Bezeichnungen wie „Metapolitik“ oder sprechen von der Besetzung des „vorpolitischen Raums“. Viele ihrer Konzepte sind dabei angelehnt an Theorien des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci, der die Strategie formulierte, über Sprache und Kultur eine „kulturelle Hegemonie“ zu erzeugen, also Deutungshoheit über Geschehnisse und Ereignisse in der Welt zu erzielen.

 

Wie diese abstrakten Konzepte konkret umgesetzt werden, zeigt sich an der Strategie der Instrumentalisierung: Die Neue Rechte greift dazu bereits bestehende Debatten oder emotionale Reaktionen auf Ereignisse auf. In einem zweiten Schritt, entwickelt sie eigene Erzählmuster zu den Debatten oder Ereignissen, um diese in die eigene Ideologie einzuordnen. Anders als bei einer bloßen Meinungsäußerung oder Positionierung ist bei der Instru-mentalisierung nicht die Teilnahme an der Debatte das Ziel, sondern die Verschiebung der Debatte auf ein anderes Thema. Wenn die Neue Rechte ein Thema oder einen Vorfall aufgreift, so dient dies der Bestätigung und Weiterverbreitung des eigenen Weltbildes.

 

Bei Diskussionen über Straftaten versucht die Neue Rechte beispielsweise oft den Eindruck zu erzeugen, zwischen der Herkunft von Menschen und dem Ausmaß und der Bereitschaft zu Kriminalität würde ein Zusammenhang bestehen. Die oft vielschichtigen Hintergründe von Gewalttaten werden durch Erzählungen der Neuen Rechten, wie etwa dem Kampf zwischen Kulturen, ersetzt.  Die rassistische Ideologie, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft mit verschiedenen Eigenschaften verknüpft und letztendlich eine Hierarchie zwischen verschiedenen Gruppen behauptet, wird so an eine bestehende Diskussion über das Thema Kriminalität angedockt. Das Ziel der Neuen Rechten ist, in den Köpfen möglichst vieler Menschen, die sich an der ursprünglichen Debatte beteiligt haben, diese rassistische Erzählung zu verankern.

 

Die eigentliche Debatte wird dadurch zu einem Instrument oder Werkzeug der Neuen Rechten, um Menschen, die sich nicht von sich aus mit rechten Ideologien beschäftigen, auf dieses Feld zu führen. Das gilt vor allem wenn Debatten vor dem Hintergrund von Ereignissen, die viele Menschen emotional aufwühlen oder verängstigen, geführt werden. In diesen Debatten erzeugt die Neue Rechte mit alarmistischen Botschaften Aufmerksamkeit. Gleichzeitig bietet sie radikale Scheinlösungen an, die aufgrund der angeblichen Dringlichkeit notwendig seien. Ideen, die sonst bei vielen Menschen auf Ablehnung stoßen würden, beispielsweise rückwärtsgewandte Geschlechterrollen, werden über den Umweg der Instrumentalisierung zu scheinbar legitimen Argumenten.

 

Wenn Menschen die Themen-verschiebung der Neuen Rechten übernehmen, kann sich daraus schnell eine massive Verbreitung von neurechten Erzählungen entwickeln. Insbesondere über Soziale Netzwerke kann schnell der Eindruck erreicht werden, die Themensetzung der Neuen Rechten sei die Meinung einer angeblichen Mehrheit der Bevölkerung.

 

 

 1: Melanie Amann (2017): Angst für Deutschland, S. 148.