#120db – Die Identitäre Bewegung und Kandel

Gleichzeitig zu der Mobilisierung nach Kandel startete die Kampagne #120db. Die Kampagne besteht vor allem aus dem Hashtag #120db in Verbindung mit einem Video unter dem Titel „Frauen wehrt euch! #120db – Die Töchter Europas“. Das Video zeigt elf junge Frauen, die Bezug auf Gewalttaten gegen Frauen nehmen, die von Migranten begangen wurden. Im Video wird die Identitäre Bewegung mit keinem Wort erwähnt. Allerdings sind die Protagonistinnen im Video Aktivistinnen der Identitären Bewegung aus Deutschland und Österreich. Die erste Protagonistin im Video ist Annika S. Unter dem Pseudonym Berit Franziska betreibt sie für die IB auch den Blog „radikal feminin“. Die Webseite der Kampagne wurde von Martin Sellner, dem Chef der österreichischen IB, verwaltet.

 

In dem Kampagnenvideo, das 98.000 Aufrufe bei Youtube hat, werden die Vornamen von drei Frauen und Mädchen genannt, die gewaltsam ums Leben kamen. Unter den drei Namen ist auch der von Mia aus Kandel. Daran anschließend schürt das Video Ängste: „Die Täter lauern überall!“ heißt es. Dieses Angstszenario wird dann im Video genutzt, um die rechte Erzählung der Überfremdung als Ursache darzustellen: „Wegen eurer Einwanderungspolitik stehen wir bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüber.“ Dies knüpft an die von der Identitären Bewegung gerne genutzte Erzählung des „Großen Austausches“ an. Der Begriff geht auf den neurechten französischen Autor Renauld Camus zurück. Dahinter steckt eine krude und im Endeffekt antisemitische Verschwörungstheorie, nach der „die Eliten“ einen Bevölkerungsaustausch in Europa geplant hätten.

 

Gleichzeitig transportiert das Video auch die sexistischen Rollenbilder der Identitären, in denen die Männer als Beschützer der Frauen auftreten sollen: „Wir sind nicht sicher, wenn ihr uns nicht schützt. Wenn ihr euch weigert unsere Grenzen zu schützen“. Zusätzlich war die Form der Kampagne so gewählt, dass sie an die #metoo-Debatte anknüpfte. Dabei präsentiert sie sich als reche „Antwort“ auf #metoo. So heißt es gegen Ende des Videos: „120db ist der wahre Aufschrei gegen die wahre Bedrohung für Frauen in Europa“. Hier zeigt sich die Strategie der Neuen Rechten, ganz gezielt an laufenden Debatten anzusetzen, um ihre eigene Ideologie zu verbreiten.

 

(Kultureller) Rassismus der Neuen Rechten

Angesichts des reaktionären Frauen- und Gesellschaftsbildes muss also die Frage gestellt werden, worum es der Neuen Rechten bei Aktionen wie #120db und „Kandel ist überall“ geht. Die #120db-Kampagne bezieht sich auf #metoo, ist allerdings sowohl rassistisch als auch antifeministisch. In Youtube-Interviews zur Kampagne erläutern die IB-Aktivistinnen dann auch was im Kampagnen-Video schon anklang. Nämlich dass sie die #metoo-Debatte um sexuelle Übergriffe für übertrieben halten würden und #120db auf die wirkliche Gefahr hinweisen würde, die von Zuwanderern ausgehen würde. Dabei ignoriert sie Statistiken die zeigen, dass die Täter bei Vergewaltigungen in den meisten Fällen aus dem direkten Umfeld der Betroffenen stammen. Es zeigt sich also, dass es den Identitären bei ihrer Kampagne nicht wirklich um die Betroffenen geht, sondern um eine bestimmte Gruppe von Tätern. Die Identitäre Bewegung versucht hier Stimmung gegen Migranten und Flüchtlinge zu machen.

 

Die Neue Rechte setzt dabei auf kulturellen Rassismus. Sie spricht von unterschiedlichen Kulturen - diesen Kulturen und den Individuen werden dabei allerdings unveränderbare Eigenschaften hinzugedichtet. So werden eine christlich-abendländische und eine islamische Kultur einander als monolithische Blöcke gegenübergestellt. Die großen Unterschiede innerhalb dieser Kulturräume werden dabei ebenso außer Acht gelassen wie individuelle Einstellungen oder soziale Hintergründe. So wird Verhalten von der Neuen Rechten dann immer auf den kulturellen Hintergrund einer Person zurückgeführt. Dadurch funktioniert der kulturelle Rassismus analog zum biologistischen Rassismus. Dass der biologistische Rassismus bei der Neuen Rechten allerdings nie wirklich verschwunden ist, zeigen unter anderem auch die berüchtigten Thesen Björn Höckes über afrikanische und europäische „Ausbreitungstypen“. Verbreitet hat er diese Thesen bei der Winterakademie 2015 des Institutes für Staatspolitik.

 

Rollenbilder der Neuen Rechten

Die Neue Rechte verfügt über ein sexistisches Weltbild, das die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Anerkennung von sexueller Vielfalt als gesellschaftliche Dekadenz ablehnt. Der Anti-feminismus, also der Kampf gegen Emanzipationsansprüche von Frauen und Homosexuellen, erfüllt für die Neue Rechte eine ganze Reihe von Funktionen: Er gilt oft als Einstiegsdroge, aber auch als Klammer der (neu-)rechten Szene und Brückenfunktion in die Mitte der Gesellschaft.

 

So finden sich in den Biografien von einigen Akteuren der Neuen Rechten Hinweise auf die maskulinistische Bewegungen oder, wie im Fall des IB-Aktivisten Robert Timm, auf das Besuchen von sogenannten Pick-Up-Seminaren. In solchen Seminaren wird Männern erklärt, wie sie am besten Frauen „aufreißen“ können. Unterlegt ist das ganze mit einer sexistischen Ideologie. Die Rollenbilder erinnern dabei teilweise an schlechte Fantasyliteratur. So vertreibt der IfS-Verlag Antaios seit 2016 das Buch „Der Weg der Männer“ des amerikanischen Maskulinisten Jack Donovan. Donovans Buch wurde vom neurechten Autor Martin Lichtmesz übersetzt und wird als Kultbuch für Identitäre vermarktet. Donovan ordnet sich dem sogenannten Neotribalismus zu und vertritt in seinem Buch die These, dass Männer in Männerbanden leben sollten, in denen sie ihre „natürlichen Triebe“ ausleben könnten. Donovan meint damit auch das Ausleben von Gewalt. Das alles soll nach Donovan der Wiederherstellung der „männlichen Identität“ dienen. Die Rolle von Frauen wird in Donovans krudem Pamphlet auf „Fortpflanzung und Mutterschaft“ reduziert und der Feminismus dient Donovan als Feindbild.

 

Im Antifeminismus findet die Neue Rechte darüber hinaus Verbündete in anderen rechtsgerichteten Milieus, wie etwa christlichen Fundamentalisten oder sogenannten Männerrechtsbewegungen. Der Antifeminismus erfüllt zugleich auch eine Brückenfunktion in konservativ-bürgerliche Milieus. Besonders bei Themen wie Gender Studies oder Sexualpädagogik kann die Neue Rechte ihre Thesen oft weit über ihr eigenes Milieu hinaus verbreiten.

 

Die Ideologie Neue Rechte ist dabei auf den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von klassischen Familien-bildern, also einer heteronormativen Hegemonie, ausgerichtet. Als Feindbilder gelten deshalb sowohl Homosexualität wie auch Sexualpädagogik und akademische Gender Studies. Diese werden als „Frühsexualisierung“ oder „Genderwahn“ verun-glimpft. Die Neue Rechte wähnt sich dabei im Kampf gegen die angebliche Dekadenz der liberalen Gesellschaft. Die neurechte Autorin Caroline Sommerfeld schreibt so zum Beispiel in der IfS-Zeitschrift Sezession zur Frage, ob es einen Feminismus von rechts gebe: „Feminismus von rechts ist so gesehen ein Selbstwiderspruch. Wenn rechte Feministinnen dafür aufstehen, anziehen zu dürfen was sie wollen, hingehen zu dürfen wo sie wollen und sich verhalten zu dürfen wie sie wollen, weil es nicht angeht, deswegen zur Beute aggressiver Einwanderer zu werden, dann sind sie allenfalls "westliche-Werte"-libertär und betreiben dieselbe dekadente Agenda wie linke Feministinnen.“1 Nach der Logik der Neuen Rechten ist also bereits die Forderung nach einem selbstbestimmten Leben für Frauen ein Zeichen gesellschaftlicher Dekadenz.

 

 

Umsetzung der Ideologie in Politik: Das Programm der AfD

Das reaktionäre Weltbild der Neuen Rechten fließt auch in die programmatischen Forderungen der AfD ein. Andreas Lichert der sowohl AfD-Mitglied in Hessen, als auch Geschäftsführer des IfS hat die AfD bei einem Burschenschaftstreffen in Bonn als „Maximum an Resonanzraum für unsere Ideen“ bezeichnet. Über die AfD gelangen die antifeministisch, sexistische und rassistische Positionen der Neuen Rechte in die politische Debatte.

 

Von Anfang an sind antifeministische Gruppierungen maßgeblich in der AfD vertreten. Insbesondere Beatrix von Storch fällt dabei immer wieder durch Unterstützung von antifeministischen Kampagnen auf. So war sie nach eigenen Aussagen maßgeblich an der Organisation der sogenannten „Demo für alle“ beteiligt. Die „Demo für alle“ war eine Kampagne, die, nach dem französischen Vorbild „Manif pour tous“, katholische und evangelikale Fundamentalisten, AfD-Politiker sowie Gruppierungen aus dem rechtspopulistischen Spektrum bis hin zur extremen Rechten umfasste. Der Schwerpunkt war Baden-Würtemberg, wo sich die „Demo für alle“ gegen einen neuen Schullehrplan richtete, dessen Ziel es war "Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intersexuellen Menschen" erstmals als Unterrichtsziel zu definieren.

 

Ein Blick in das Bundestagswahlprogramm der AfD zeigt wie rechte Positionen, zum Beispiel gegen Gender Studies, in programmatische Forderungen umgesetzt und mit dem Slogan „Genderwahn stoppen“ versehen werden. Im Bundestagswahlprogramm finden sich Sätze wie „Die „Gender-Forschung“ ist keine seriöse Wissenschaft, sondern folgt der ideologischen Vorgabe, dass das natürliche Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender) voneinander völlig unabhängig seien. Ziel ist letztlich die Abschaffung der natürlichen Geschlechterpolarität“2. Ebenso greift die AfD, das gegen Sexualpädagogik gerichtete Narrativ der angeblichen Frühsexualisierung in ihrem Programm auf: „Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht, wie sie die sogenannte „Sexualpädagogik der Vielfalt“ praktiziert, stellt einen unzulässigen Eingriff in die natürliche Entwicklung unserer Kinder und in das vom Grundgesetz garantierte Elternrecht auf Erziehung dar. Dadurch werden Kinder und Jugendliche – oft von schulfremden Personen und meist gegen den Willen ihrer Eltern – in Bezug auf ihre sexuelle Identität verunsichert, überfordert und in ihren Schamgefühlen verletzt.“3

 

Die neurechte Selbstinszenierung in Kandel

Die Neue Rechte verfolgt eine autoritäre, sexistische und rassistische Agenda. Auch eine ausgeklügelte Medienstrategie und ein intellektueller Anstrich kann dies nicht verbergen. Sie bedient mit ihren Erzählungen Vorurteile in der Gesellschaft und versucht so, politischen Einfluss zu gewinnen. Im Endeffekt ist die rückwärtsgewandte Utopie der Neuen Rechte allerdings auch nur ein völkisches Weltbild, in dem die Kleinfamilie als „Keimzelle der Nation“ dient.

 

Über die Netzwerke um Kubitschek und das IfS ist die Neue Rechte tief verwoben mit dem rechtspopulistischen Milieu und der AfD. Bei Demonstrationen wie in Kandel zeigt sich, welches Spektrum dieses Netzwerk aktivieren und mobilisieren kann. In der Demo liefen Reichsbürger gemeinsam mit Neonazis, Identitären, Hooligans und AfD-Bundestagsabgeordneten. Neben der flüchtlingsfeindlichen Agitation dient dabei auch ein sexistisches reaktionäres Weltbild als Kitt, das dieses Geflecht zusammenhält.

 

Der Vorfall in Kandel dient diesem Spektrum dabei nur als Projektionsfläche zur Verbreitung der eigenen Ideologie. Um dem  (neu)rechten Wunschdenken von einer „PEGIDA des Westens“ gerecht zu werden, mussten zur Demonstration von „Kandel ist überall“ Rechte aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisiert werden. Dazu diente die #120db-Kampagne der Identitären genauso wie die Konzertankündigung der rechten Hooliganband „Kategorie C“.

 

Um dieser Selbstdarstellung etwas entgegenzustellen ist es wichtig, dass Bürger*innen vor Ort Zeichen  setzen und sich gegen Rechts engagieren. Denn nur so kann die Selbstinszenierung der Neuen Rechten als „Sprachrohr des Volkes“ sichtbar untergraben werden.

 

1. Artikel auf dem neurechten Blog "Sezession": Caroline Sommerfeld "Sind wir Feministinnen?" https://sezession.de/58185/sind-wir-feministinnen

 

2. Alternative für Deutschland: Wahlprogramm Bundestagswahl 2017, S.39

 

3. Alternative für Deutschland: Wahlprogramm Bundestagswahl 2017, S.39