Wer Steckt hinter den Demos?

Die größeren rechten Demonstrationen in Kandel unter dem Titel „Kandel ist überall“ wurden von einer Gruppe aus mehreren Personen organisiert. In federführender Rolle beteiligt sich dabei Christina Baum von der Alternative für Deutschland. Die Politikerin ist Vizesprecherin der Landtagsfraktion der AfD in Baden-Württemberg. Sie gehörte zu den Erstunterzeichnerinnen der „Erfurter Resolution“. Diese Erklärung ist im direkten Umfeld vom völkisch orientierten AfD-Politiker Björn Höcke entstanden. Die ersten Mitzeichner dieser Resolution können daher dem sogenannten „völkischen Flügel“ der Partei zugerechnet werden.

 

Ein enger Mitarbeiter von Christina Baum ist zudem eng mit der rechtsradikalen Initiative „Ein Prozent“ verbandelt. Der Mitarbeiter ist Mitglied der Burschenschaft Germania Marburg, der auch der „Ein Prozent“-Gründer Philip Stein angehört. Das Netzwerk, zu dem auch die Führungsfigur der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, zählt, sammelt Spenden für rechtsradikale Aktivitäten und begleitet diese mit professionell gedrehten Propagandavideos. „Ein Prozent“ ist damit zu einem zentralen Organ der Neuen Rechten in Deutschland geworden.

 

Christina Baum trat bei der Demo am 3. März 2018 in Kandel als Anmelderin und als Rednerin auf. Baum betont oft, ihre Demonstrationen seien „überparteilich“. Tatsächlich beteiligen sich an den Demos auch Politiker*innen aus anderen rechten und rechtsradikalen Parteien. Dennoch können die Demonstrationen unter dem Motto „Kandel ist überall“ berechtigterweise als Demonstrationen der AfD betrachtet werden. So riefen im Vorfeld der Demo am 3. März beispielsweise mehrere Bundestags-abgeordnete der Partei zur Teilnahme auf. Diese Mobilisierungsvideos wurden auf der Facebookseite „Kandel ist überall“ publiziert und verbreitet.

 

Weiterhin ist der rechtsradikale Aktivist Torsten F. in die Organisation der Demonstrationen mit eingebunden. Der Westerwälder F. ist eine der treibenden Figuren der Gruppierung „Bekenntnis zu Deutschland“. Er war in der Vergangenheit mehrfach bei Demonstrationen im rechtsradikalen Spektrum als Redner aufgetreten und gilt insbesondere in Kreisen rechtsradikaler Hooligans als gut vernetzt. Bei der Demonstration am 3. März übernahm F. die Versammlungsleitung. Seine Eingangsworte als Versammlungsleiter schloss er mit dem Szenegruß der Hooligans „Ahu“. Torsten F., der auf der Facebook-Seite der Bundesregierung in einem Kommentar „einen gesunden Rassismus“ einforderte, ist ebenfalls Mitglied der Alternative für Deutschland. Zwischenzeitlich führte der rheinland-pfälzische Landesverband ein Ausschlussverfahren gegen F., dieses scheiterte jedoch offensichtlich.

 

Christiane C. ist innerhalb des Orgateams unter anderem für die Gestaltung von Grafiken und Bannern zuständig. Sie entwarf das Logo für „Kandel ist überall“. C. leitet in Speyer ein Büro für Grafikdesign und war bis 2017 Vize-Vorsitzende der Alternative für Deutschland in Rheinland-Pfalz. Nach einem Zwist mit den anderen Vorstandsmitgliedern trat sie nicht zur Wiederwahl an. Auch C. hatte bereits vor den Kandel-Demonstrationen Kontakte in das Lager rechtsradikaler Hooligans. Bei einer Demonstration der „HoGeSa“-Nachfolgeorganisation „Gemeinsam sind wir stark“ in den Niederlanden war C. als Rednerin angekündigt, sagte jedoch ihre Teilnahme wieder ab. Dieselbe Adresse wie das Grafikdesignbüro von C. hat auch der Verein „Bürgerwille – Verein für Verfassungstreue e.V.“, der als Spendenkonto für die Demonstration genutzt wird.

 

Die Demonstrationen von Marco K.

 

Nach einem Zwist innerhalb des Demo-Organisationsteams spaltete sich Marco K. mit seinem selbsternannten „Frauenbündnis“ ab. Am 03. März führte er zeitgleich zur Demo aus dem AfD-Umfeld eine eigene Demonstration unter dem Motto „Gegen-Gegendemo“ durch. An der Demonstration von K. beteiligten sich einige hundert Menschen. Unter anderem nahm ein bekannter Scharfmacher aus der rechtsradikalen YouTuber-Szene teil.

 

K. will seine Demonstrationen in Kandel nun einmal pro Monat durchführen. Viele seiner politischen Tätigkeiten wirken auf Außenstehende skurril, da sie im Auftritt an Aktionen aus der Reichsbürger-Szene erinnern. Dennoch verfügt K. durch seine Social-Media-Profile mit hoher Reichweite über ein gewisses Mobilisierungspotential und ist in diversen rechtsradikalen Kreisen vernetzt.

 

Wer nimmt an den Demonstrationen teil?

An der Demonstration unter dem Titel „Kandel ist überall“ am 3. März beteiligten sich unter anderem folgende Organisationen und Spektren der rechtsradikalen Szene:

 

NPD und ihre Jugendorganisation JN

 

An der Demonstration beteiligten sich Mitglieder und ehemalige Kandidat*innen und Funktionär*innen der „Nationaldemokratischen Partei Deutschland“ (NPD) aus verschiedenen Bundesländern. So war die ehemalige NPD-Kandidatin Jaqueline S. aus dem Saarland angereist. Auch aus dem Saarland und dem dortigen NPD-Umfeld beteiligte sich Alexander F. Dieser war mutmaßlich an einem gewalttätigen Angriff auf einen linken Gegendemonstranten während der Rückreise aus Kandel beteiligt. Die Polizei ermittelt in diesem Zusammenhang wegen Körperverletzung gegen F.

 

Aus Mannheim war Christian H. anwesend, der in der Vergangenheit als NPD-Kandidat bei verschiedenen Wahlen aufgetreten ist. H. gilt als gut vernetzt in der Mannheimer Hooligan-Szene.

 

Auch Vertreter der hessischen Jugendorganisation der NPD (Junge Nationalisten, JN) wurden auf der Kundgebung geduldet.

 

Rechtsradikale Kleinstparteien

 

Abgesehen von der NPD beteiligten sich auch kleinere rechtsradikale Parteien an der Demonstration am 3. März. So waren Vertreter*innen der Partei „Die Rechte“ vor Ort. „Die Rechte“ ist eine radikale Kleinstpartei, die vor allem in Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielt. Dort nahm die Partei gezielt Personen auf, deren vorherige Wirkungsstätten durch Vereinsverbote aufgelöst wurden. Für den Europawahlkampf 2018 will die Partei nach eigener Ankündigung die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aufstellen.

 

Auch die Partei „Der III. Weg“ war in Kandel präsent. Diese rechtsradikale Kleinstpartei ist ebenfalls für ihre besondere Radikalität bekannt. Unter ihren Mitgliedern befinden sich Personen, die im Verdacht stehen, an rechtsterroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein. Die Partei tritt bei eigenen Demonstrationen häufig in eigener Uniformierung auf.

 

Identitäre Bewegung (IB)

 

Ein an der Demonstration am 3. März beteiligter Block an Demonstrant*innen trat im bekannten Erscheinungsbild der Identitären Bewegung auf. Die Personen im Block griffen die typische Schwarz-Gelbe Farbgebung der rechtsradikalen Gruppierung auf und skandierten die Slogans der Identitären Bewegung. Im Block befanden sich unter anderem mutmaßliche Mitglieder der Identitären Bewegung Schwaben. Viele der Demonstrant*innen, die sich in diesem Block bewegten sind jedoch vor allem in der Jugendorganisation der AfD, Junge Alternative (JA), politisch beheimatet. Zumindest zeitweise lief der frisch gewählte Bundesvorsitzende der JA, Damian Lohr, unmittelbar hinter dem Frontbanner des identitären Blocks mit. Ebenfalls hinter dem Frontbanner gesichtet wurden einige Vertreter des rheinland-pfälzischen Landesvorstands der Jungen Alternative: Beispielsweise Justin Cedric S. und Pascal B.

 

Hooligan-Spektrum

 

Zur Demonstration am 3. März hatten zahlreiche überregional vernetzte Personen aus dem Hooligan-Spektrum per Videobotschaft mobilisiert. An dieser Kampagne beteiligten sich vor allem frühere Führungskader der selbsternannten „HoGeSa“-Bewegung (Hooligans gegen Salafisten). Die  Bewegung erregte bundesweite Aufmerksamkeit durch eine gewalttätige Großdemonstration in Köln 2014. Im Nachgang kam es immer wieder zu Umbenennungen und Neugründungen. Zur Demonstration nach Kandel kam unter anderem der Bremer HoGeSa-Aktivist Marcel K. (alias „Captain Flubber“), der im Vorfeld der Kölner Demo als Regionalleiter Nord der Bewegung fungierte. K. ist auch eng verknüpft mit der rechtsradikalen Hooligan-Band „Kategorie C“, die bundesweit Fans hat. Im Nachgang der Demonstration am 3. März fand in unmittelbarer Nähe zu Kandel ein Konzert der Band statt. Zahlenmäßig stark vertreten waren erwartungsgemäß die Hooligan-Szenen aus Kaiserslautern und Mannheim.

 

Ebenfalls vor Ort waren Mitglieder der „Berserker“. Die Berserker sind eine rechtsradikale Gruppierung mit verschiedenen lokalen Schwerpunkten, beispielsweise in Pforzheim und Wolfsburg. Zwischen Berserkern und dem Hooligan-Milieu gibt es zahlreiche Überschneidungen. Immer wieder kommt es zu Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Berserker, sie gelten als besonders gewaltbereit.

 

Im ersten Block der Demonstration, also vorne bei den Veranstalter*innen, lief Edwin W. mit. Der Niederländer gilt als Anführer von Pegida Niederlande und ist ebenfalls bestens im Spektrum der rechtsradikalen Hooligans vernetzt und tritt seit Jahren als Redner bei Demonstrationen aus diesem Spektrum auf. Im Vorfeld der Demonstration veröffentlichte W. mehrere Videobotschaften in denen er die Demonstration in Kandel bewarb. Auf der zentralen Facebook-Seite von „Kandel ist überall“ wurden diese Botschaften geteilt.

 

Pegida-Ableger

 

Am 3. März nahmen an der Demonstration Vertreter der Pegida-Ableger aus Nürnberg und der Schweiz teil. Edwin W. (siehe Abschnitt oben) organisiert in den Niederlanden Demonstrationen unter dem Namen Pegida und trat früher auf Kundgebungen der Dresdner Pegida auf. Nach einem Zerwürfnis mit Lutz Bachmann durfte er dort nicht mehr sprechen. An der folgenden Demonstration am 24. März nahm mit Siegfried D. das nach Bachmann bekannteste Gesicht der Dresdner Pegida-Aufmärsche teil.

 

Rechtsradikale Blogger-Szene und „alternative“ Medien

 

Die Demonstration am 3. März wurde durch zahlreiche der rechten Szene nahestehenden Kamerateams begleitet. Mit dabei waren Vertreter von „Jouwatch“ und der PI-News-Autor Michael S. sowie der Macher des Angebots „Wissensmanufaktur.net“, Rico A. Auch russische Medien wie RT-Deutsch begleiteten die Demonstration.

 

Sonstige Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum

 

Viele Teilnehmer*innen der Demonstration am 3. März drückten durch ihre Kleidung Sympathien für rechtsradikales Gedankengut aus. Sie trugen Klamotten vom Szene-Labels wie „Thor Steinar“ und „Ansgar Aryan“ oder Pullover mit der Aufschrift „I love NS“ (Ich liebe Nationalsozialismus). Auch Kleinstgruppierungen versuchten durch Präsenz bei der Demonstration ihren Bekanntheitsgrad in der Szene zu steigern. Beispielsweise beteiligte sich die „Sturmbrigade 44 Düsseldorf“ am Protest. Diese Gruppierung bezieht sich im Netz positiv auf die Waffen-SS.

 

Die Rolle der AfD

Die Alternative für Deutschland kann aufgrund der Parteizugehörigkeiten der Mitglieder des Organisationsteams als treibende Kraft hinter den Demonstrationen in Kandel betrachtet werden. Auffällig ist, dass bereits eine der ersten rechten Demonstrationen in Kandel im Januar durch den Anführer des sogenannten völkischen Flügels der AfD, dem thüringischen Landeschef Björn Höcke, lobend erwähnt wurde.

 

Insbesondere im Vorfeld der Demonstration am 3. März wurde innerhalb der Alternative für Deutschland massiv mobilisiert. Mehrere Bundestagsabgeordnete riefen in Videobotschaften zur Teilnahme an der Demo auf. Unter anderem beteiligte sich der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Stefan Brandner, an dieser Kampagne.

 

Dennoch verzichten die Organisator*innen darauf, die Veranstaltungen offen als AfD-Demonstrationen zu deklarieren. Stattdessen betonen sie stets, dass die Versammlungen „überparteilich“ seien.

 

Tatsächlich gibt es innerhalb der AfD nicht nur Unterstützung für die „Kandel ist überall“-Kampagne. Insbesondere der rheinland-pfälzische Landeschef Uwe Junge ging frühzeitig auf Distanz zu den Versammlungen und empfahl, nicht an diesen teilzunehmen.

 

An diesen Aufruf zur Nicht-Teilnahme fühlten sich jedoch viele AfD-Mitglieder nicht gebunden. So nahm am 3. März beispielsweise die Speyerer AfD-Bundestagsabegordnete Nicole Höchst teil. Auch der Landesvorstand der rheinland-pfälzischen „Jungen Alternative“ zeigte mit mehreren Personen in Kandel Präsenz.

 

Junges Aufruf, den Demonstrationen fernzubleiben, dürfte nicht unwesentlich auf interne Streitereien zwischen ihm und Mitgliedern des Orgateams zurückgehen. Orgamitglied Christiane C. gehörte einst selbst dem rheinland-pfälzischen Landesvorstand an und schied dort im Zwist mit ihren vormaligen Vorstandskolleg*innen aus.

Im Nachgang der Demonstration am 3. März wurde außerdem über die offizielle „Kandel ist überall“-Facebookseite offen Stimmung gegen Uwe Junge gemacht.

 

Welche Absicht wird mit den Demos verfolgt?

Betrachtet man die „Kandel ist überall“-Kampagne und die zugehörigen Versammlungen als Projekt des sogenannten „völkischen Flügels“ der AfD, in Kooperation mit dem Netzwerk „Ein Prozent“, dann ergibt die Kampagne vor allem einen propagandistischen Sinn und wirkt sich außerdem auf die innerparteiliche Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Partei aus.

 

Diese Debatte lässt sich grob in zwei Lager einteilen. Das eine Lager will sich durch parlamentarische Arbeit und gemäßigtere Wortmeldungen als zukünftige Koalitionsoption präsentieren. Das andere Lager begreift die Partei dagegen als Sammelbecken für rechte Strömungen und will erst regieren, wenn die AfD die Mehrheit der Stimmen hält.

 

Dem zweiten Lager sind der „völkische Flügel“ und außerparteiliche Satelliten wie „Ein Prozent“ zuzuordnen. Dem Flügel und der Neuen Rechten geht es nicht darum, möglichst schnell in Regierungsverantwortung zu gelangen, das erklärte Ziel ist dagegen die Bundesrepublik und ihr politisches System möglichst umfassend zu verändern.

 

Um dies zu erreichen, wollen sich die Mitglieder des „völkischen Flügels“ möglichst scharf von allen anderen Parteien abgrenzen und diese in Misskredit und Verruf bringen. Deshalb möchte man sich bei den Wähler*innen als „Protest-“ oder „Bewegungspartei“ anbieten.

 

Präsenz auf den Straßen in Form von Demonstrationen ist für „Flügel“-Anhänger*innen daher mindestens gleichwertig zur parlamentarischen Arbeit.

 

Damit der Eindruck einer „Bewegungspartei“ entstehen kann, müssen die Demonstrationen entsprechenden Zulauf haben. Mutmaßlich deshalb mobilisierte man in Kandel bewusst im Spektrum der Hooligans, um genügend Menschen auf die Straße zu bekommen. Die Einwohner*innen vor Ort können die Organisator*innen dagegen kaum für sich gewinnen.

 

Rechtsradikale Hooligans und Kleinstparteien nehmen die Einladung einer im Bundestag vertretenen Partei dagegen gerne an: es wertet ihre eigentlich nicht gesellschaftsfähigen Positionen ungemein auf und beendet faktisch die langjährige politische Isolation des rechtsradikalen Spektrums in Deutschland.